Text DESIDERATA mit Initial nach Sherri Kiesel

S H E R R I   K I E S E L  – oder die Lust am Spielen

 

Als ich im Mai 2016 an einem workshop mit dem Schwung-Alphabet von Sherri Kiesel teilnahm, ahnte ich noch nicht, welche Lust am Spielen mich überkommen und lange nicht loslassen würde. Als ob man von einem Fluss oder einer Strömung  mitgerissen würde: jede gelungene Form und Verzierung bewirkt schon wieder die nächste Idee, und man treibt weiter und weiter. Aufhören wird dann schwierig.

Vielleicht ist es gerade die Reduktion auf insgesamt nur fünf Grundformen in diesem Alphabet, und die „innere Leere“ dieser Buchstaben, welche die schier endlosen Spielmöglichkeiten und Variationen ermöglichen und geradezu herausfordern.

Übt man Sherri Kiesels Buchstabenformen, bemerkt man auch eine wohltuende Abwechslung und Auflockerung zum Schreiben der klassischen Schriften. Es steckt ganz viel Bewegung und Dynamik in ihren Formen, und es ist als ob man weg von der Ballettstange auf eine Schaukel versetzt wäre: die pure Freude am Schwung! Und genau darin liegt auch die Quelle des Spaßes, den man dabei empfinden kann: Schwung holen und Schwung geben, vor und zurück . . .

Dabei genügen schon ein Fineliner, ein Kuli oder ein Bleistift, um diese Formen zu üben. Kein großartiges und ausschweifendes Instrumentarium. Aber Vorsicht: diese „Einfachheit“ soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Buchstaben-Formen von Sherri Kiesel letzten Endes sehr ausgefeilt und in ihrer Komposition durchgearbeitet sind und – na ja – perfekt eben! Diese Perfektion muss man sich zunächst selber erarbeiten, und von den vielen Beispielen, die im Internet zu finden sind, bringen einige leider nur die Nackenhaare zum Stehen.

Sherri Kiesels Buchstaben eignen sich recht gut zum Kombinieren mit anderen Alphabeten, als Initialen, als ganzes hervorgehobenes Wort in Einzelbuchstaben und  auch ineinander geschrieben. Zum Verzieren und Ausschmücken ist der leere Binnenraum Herausforderung und kreativer Anreiz, in seinen runden und organisch–üppigen Formen mehr eine zärtliche Verlockung als ein ruppiger Imperativ! Weich und anschmiegsam! Wenn sich irgendwo kalligraphisch schmusen lässt, dann hier . . . !

Auf die Idee mit der Spruchsammlung – „Jeder Buchstabe mindestens ein Mal!“ – kam ich ziemlich schnell, und sie ließ mich nicht mehr los. Inzwischen ist eine stattliche Anzahl von Beispielen zusammengekommen, und ich kann eigentlich nur abraten, es ebenso zu tun, denn ein Suchtfaktor ist garantiert und man kommt nicht mehr los!  Farbspielereien, Zentangle-Muster, freie graphische Ausgestaltung und was auch immer sich ausprobieren und vertiefen lässt, der Möglichkeiten sind schier keine Grenzen gesetzt. Und wenn ich eine Ziehfeder, eine Colafeder nehme, dann spricht das ganze plötzlich wieder eine andere Sprache.

Dann noch das Feld der Proportionsveränderung und Größenverschiebung: lange, breite, dicke, dünne, schräge, schiefe, verzogene Buchstaben sind möglich, und jede gekonnte Veränderung eröffnet wieder ein neues Feld der Bearbeitung und eine weitere Spielwiese. Im Laufe der Zeit habe ich gemerkt, dass es sich immer mehr ausweitet, sobald man es betritt. Ich bin gespannt, was noch alles an Spielmöglichkeiten auftaucht und mich überrascht . . .

Die Beispiele in dieser Galerie sind ein schöner und erfreulicher Anfang.

 

 

©  Hubert Leonhard Graf

 

 

 

Studien kompletter Alphabete

Einzelinitialen alphabetisch - Spruchsammlung

Buchstabenstudien einzeln

Studien Proportionsverschiebungen und Farbe